Was bedeutet eigentlich Sex Positivity?
Wie viele Sexualpartner sind zu viele? Gehe ich zu freizügig mit meiner Sexualität um? Bin ich zu wählerisch? Stimmt irgendetwas mit meiner Lust nicht? Fragen, die wir uns nicht stellen sollten, die aber trotzdem irgendwann auftauchen. Mit dem Sex Positivity Movement sollen genau diese Zweifel ausgeräumt und für mehr freie Liebe gesorgt werden – nichts muss, alles darf!
Sex ist noch immer ein großes Tabuthema. Vieles wird als „grauslich“, „schlecht“ oder „nicht normal“ bezeichnet, aber was ist schon normal? Es sollte keine Norm in der Sexualität geben, die uns sagt, was wir gut finden müssen und was nicht, aber unsere Gesellschaft schiebt unserer Sexualität einen Riegel vor. Wir kriegen von klein auf eingetrichtert, dass nur eine Beziehung, Sex oder die Ehe zwischen Mann und Frau das Richtige sind. Ach ja und Sex soll auch, wenn’s geht, nur mit wenigen Sexualpartnern oder am besten nur mit einem stattfinden. Sex Positivity ist eine Bewegung, die genau diese „Regeln“ brechen will. Mittlerweile sind sogenannte Sex-Positive-Partys auch in Wien angelangt und zelebrieren den Körper und die Sexualität, wie sie uns gegeben wurden. Aber wie genau läuft so was ab?
Tanzen, Schmusen, Sex – und vor allem Konsens
„Man kann sich auf viele harte Beats und nackte Haut, die meist in sexy Unterwäsche verpackt ist, einstellen“, erklärt Fredi, die Gründerin der Sex-Positive-Partys in Wien, und fügt an: „Wir haben eine sehr liberale und akzeptierende Crowd – man wird von allen als Freund behandelt. Aber man darf sich auch nicht ekeln, wenn man Menschen beim Schmusen und Verkehren sieht.“ Seit rund einem Jahr veranstalten Fredi und das Team vom Hausgemacht-Kollektiv die Partys unter dem Namen Zusammen Kommen. Schon klar: Ein Problem mit öffentlicher Sexualität, dem einen oder anderen Busen, Nippel oder Popsch darf man nicht haben, wenn man auf eine Sex-Positive-Party geht, aber wie sieht es mit dem Sex aus? Muss ich? Darf ich? „Alles muss konsensual sein! Niemand ist einfach zum Angreifen da“, erzählt Fredi.
Apropos Konsens: Das sollte bitte eigentlich auf jeder Party und in jeder Lebenssituation gelten! Fürs Vergnügen zwischendurch gibt es aber die Darkrooms, die genau für Sex auf den Partys da sind. Kondome und Desinfektionsmittel werden verteilt und schon an der Tür wird über das Geschehen aufgeklärt. Wer keine Ahnung hat, wird nicht reingelassen. Wie ist das aber jetzt, wenn man zwischen halb nackten, schwitzenden Menschen in Unterwäsche, Lack und Leder oder im Eva- bzw. Adamskostüm tanzt und der Beat dröhnt. Ist da die Chance höher, dass Übergriffe passieren? Die Gründerin weiß: „So etwas kann leider in jedem Club passieren, da haben wir auch kein Allheilmittel. Trotzdem sind wir extrem stolz, dass genau bei so einer Art von Party, die ja eigentlich eine Steilvorlage für Übergriffe wäre,
nichts passiert ist.“
Strenge Türpolitik muss sein
Jeder Clubbesucher muss bei den Sex-Positive-Partys eine strenge Selektion an der Tür in Kauf nehmen – Gott sei Dank! Dem Team von Zusammen Kommen ist wichtig, dass es eine gewissenhafte Kontrolle an der Tür gibt, sonst könnten sie die Partys nicht veranstalten. „An erster Stelle stehen immer die Sicherheit und das Wohlgefühl der Frauen – sie sind der Ausgangspunkt unserer Überlegungen“, erklärt uns Fredi und fügt an: „Unsere erste Überlegung: Wie können wir so eine Party machen, wo wir uns selbst wohlfühlen? Strenge Selektion ist der erste Teil der Antwort. Wir verlassen uns auch immer auf unser Bauchgefühl. Außerdem selektieren wir immer selbst, wir lassen das niemand anderen für uns machen.“
Nicht nur das strenge Auswählen der Crowd ist ein fester Bestandteil dieser Partys, sondern auch gewisse Regeln – und die sind einzuhalten! Auch beim Feiern von freier Sexualität und Körpergefühl muss es irgendwo Grenzen geben, das weiß Fredi: „Nichts ist selbstverständlich, und wir übernehmen in der Kommunikation die Rolle der Mama. Offenbar muss man sagen, dass keine Gläser in den Darkroom gehören, oder dass man das Desinfektionsspray nicht klauen sollte.“ Die allerwichtigste Regel ist aber, dass jeglicher sexueller Kontakt auf beiderseitigem Konsens basieren muss. Sex ist aber noch lange nicht alles, worum es bei den Sex-Positive-Partys geht.
Mehr als nur Sex
Die Sex-Positivity-Bewegung soll keine wilde Orgie verkörpern, in der es nur um Geschlechtsverkehr geht. Das eigene Körperbild soll zelebriert werden, und zwar so, wie man das möchte. „Jede Art von Sexualität und Körper ist wunderschön – nichts ist ekelhaft oder schlecht“, erklärt Fredi. Sex Positivity ist ein Begriff, den jeder für sich selbst entdecken und definieren kann. Die einen sehen mehr den Body-Positivity-Aspekt, die anderen eben mehr den sexuellen – aber alle dürfen frei wählen. Natürlich ist die Sexualität immer schon etwas gewesen, das polarisiert. Etwas, wo Meinungen aufeinanderprallen, wo unterdrückt wurde oder neue gesellschaftliche Sichtweisen geschaffen wurden. Aber inwiefern brauchen wir heutzutage noch die Benennung eines Movements?
Die Befreiung von gesellschaftlichen Konventionen
Eine gesunde Einstellung zum eigenen Sexleben oder zu dem anderer (wir interessieren uns doch bekanntlich mehr für pikante Details anderer und geben unseren Senf dazu) ist ungefähr so präsent wie die Tatsache, dass die Menschen am Klimawandel schuld sind – aber, nun ja: Von allen Seiten wird uns ein Körper- und Sexbild vermittelt, das wir leben sollen, aber offen und ohne Scham darüber gesprochen wird eher weniger. Dass wir nicht wirklich wissen, wie wir damit umgehen sollen, ist verständlich. Auch Sexualtherapeutin Bettina Brückelmayer weiß: „Sex ist nach wie vor ein Tabuthema und hat immer mit etwas Verbotenem zu tun und mit schlechtem Gewissen. Die Kirche, die noch immer ein sehr machtvolles und einflussreiches Instrument ist, sieht Ehe mit Zeugung der Nachkommenschaft als Ziel – sexuellen Genuss eher weniger. So wurden diese sexuellen Moralvorstellungen über Jahrhunderte tradiert.“ Sie fährt fort: „In Schulbüchern ist Sexualität auch nicht das große Thema. Und wenn doch, dann findet man ausschließlich Information über Heterosexualität.
Geschlechtsidentitäten können jedoch mannigfaltig sein – homosexuell, bisexuell, asexuell, transsexuell und noch vieles mehr.“ Das ist richtig, das ist falsch, das darfst du machen und das wird missbilligt? Wir wissen gar nicht mehr, was wir dürfen und eigentlich wollen! Vielleicht brauchen wir gerade jetzt, in der Zeit, wo wir durch das Internet, die Medien und Traditionen überflutet werden, genau diese Art von Partys, um aus unserem gesellschaftlichen Käfig ein bisschen auszubrechen, oder? Denn mal ehrlich: Wann habt ihr euch das letzte Mal so richtig frei und ungebunden gefühlt?
Auch für Fredi sind Sex-Positive-Partys etwas, das Freiheit verkörpert. „Es ist eine Befreiung von gesellschaftlichen Vorstellungen, wie Körper und Sex auszusehen haben“, erzählt sie. Um unser Ausbrechen und unser Ausleben leichter zu machen verstecken wir uns ein bisschen hinter dem Movement. „Wir fühlen uns wohler und sicherer, wenn man den Dingen einen Namen gibt. Der Begriff der Sex Positivity könnte eine Art Erlaubnis sein, zu seiner Sexualität oder dem sexuellen Ausleben stehen zu dürfen“, sagt die Sexualtherapeutin. Aber wieso glauben wir immer noch, eine Erlaubnis zu brauchen? Gerade beim Thema Liebe und Sexualität sollte keiner darüber entscheiden dürfen außer du selbst, oder?
Die Entscheidung liegt bei uns
Bettina Brückelmayer weiß, dass Sex Positivity etwas ganz Individuelles ist und jeder für sich selbst entscheiden und seine persönliche Definition finden kann. Also – weißt du schon, was Sex Positivity für dich bedeutet. Vielleicht ist es das Tanzen und Amüsieren auf Partys und in Darkrooms, vielleicht ist es aber auch genau das Gegenteil. Vielleicht ist es die Selbstbefriedigung, die Erforschung des eigenen Körpers, die Suche nach dem einen oder der anderen, mit der du dein Leben teilen möchtest, oder aber auch die Lust nach wechselnden Sexualpartnern ohne jegliche emotionale Bindung – ganz egal, was es ist, ganz alleine wir dürfen entscheiden, was wir mit unserem Körper machen. Denn es ist eben unser Körper!