Der Alltag ist ein Hund. Die einst so heiße Sexperformance ist irgendwann so eingespielt wie das morgendliche Butterbrotschmieren. Nach Jahren der Beziehung wird über kurz oder lang der Liebhaber zum besten Freund. Von Lust keine Spur. Enthaltsamkeit bei der Generation Digital Natives scheint heute so selbstverständlich wie der Würstelstand am Bahnhof.

Aber warum ist das so? Und wie kommen wir da wieder raus? Wir haben uns auf Spurensuche begeben.

Von Wolke Sieben direkt ins Kellergeschoss

Lisas Beziehung mit Tom begann mit einem Dauergrinser und Herzrasen, sobald er auf der Bildfläche erschien. Zwei Jahre lang vögelten sie sich durch ihre Wohnungen, und bald durch die gemeinsame. Die Herzen waren offen und die Vertrautheit wuchs. Mit der Nähe rückte aber der Sex langsam in den Hintergrund. Egal, Lisa und Tom waren ein Spitzenteam. Dann kam die große Pandemie, und mit ihr kamen berufliche Sorgen und schlaflose Nächte.

Das Hamsterrad drehte sich schneller und schneller. Ins Schwitzen kamen sie im Bett nur noch, wenn die Lieblingsserie dem Staffelfinale zuging. Lisa und Tom haben sich körperlich immer weiter voneinander entfernt. Ihr Umgang mit Sex wurde immer krampfhafter, je seltener sie miteinander schliefen. Irgendwann haben sie es dann ganz gelassen. Die beiden sind ein x-beliebiges Paar der Generation Digital Natives. Die wohl „schönste Nebensache der Welt“ scheint dieser Generation verloren gegangen zu sein.

Dem Phänomen der allgemeinen Lustlosigkeit haben italienische Forscher den Namen „sexuelle Anorexie“ gegeben. Die Verhaltensmuster sind ähnlich jenen anderer Süchte: emotionale Distanziertheit, weniger Bock auf den Partner und noch weniger Bock, aus dem Teufelskreis rauszukommen. Aber warum ist das so?

Wenn die Lust zur Rechenregel wird

Die Wissenschaft liefert uns hier eine Antwort: Der anfängliche Dopaminrausch ist nämlich spätestens nach 36 Monaten vorbei. Dann beendet das Hirn den süßen Rausch der Verliebtheit. Danach rutschen viele Paare in eine geschwisterliche Symbiose, wo sich die Libido zugunsten der Vertrautheit verabschiedet. Der große „Beziehungskater“ ist da. Aber warum sinkt die Lustkurve mit dem Anstieg des Sicherheitsgefühls in der Partnerschaft? Verträgt sich Harmonie nicht mit Lust?

„Leider nicht“, sagt Barbara Zuschnig, studierte Sexualberaterin und Co-Autorin von Sexpositiv – Intimität und Beziehung neu verhandeln: „Das ist ein Paradox an Beziehungen: Da gewinnt man Vertrauen, Vertrautheit, Sicherheit, dieser jemand kennt mich und meine Macken; kennt mich, wenn ich krank bin, wenn ich unter Stress stehe, et cetera. Aber Vertrauen, Vertrautheit und Nähe sind entgegengesetzt zu Lust, Erregung, Begehren und
Exitement
. Das sind einfach zwei unterschiedliche energetische Zustände.“

Lustkiller Netflix

Zum Verhängnis werden der jungen Generation auch abendliche Klassiker wie Netflix oder Gaming. Wer seine Zeit gerne vor flimmernden Bildschirmen verbringt, hat weniger Sex. Das bestätigt auch eine amerikanische Studie,
die 2017 im US-Journal Archives of Sexual Behavior erschien. Verglichen wurden dabei die alten TV-Programme und deren Werbeunterbrechungen mit den heutigen Streamingdiensten.

Das Ergebnis: Der nonstop verfügbare Streamingdienst lässt den Fernseher alt aussehen – und unser Sexleben leider auch. Anstatt uns wie früher gegenseitig die Klamotten vom Leib zu reißen, zelebrieren wir lieber Netflix-Gemütlichkeit in ausgebeulten Jogginghosen unter der Kuscheldecke.

“Tausend Gründe, keinen Sex haben zu wollen”

Sexualität hat sich definitiv verändert“, so Zuschnig. „Junge Menschen haben einen enormen Stress. Bei mir in der Praxis sitzen Frauen, die könnten toller nicht sein, und erzählen mir, sie sind lustlos –weil sie ihren Körper nicht mögen, weil sie ‚dem da draußen‘ nicht genügen.“ Die Millennials haben heute halb so viel Sex wie die Generation ihrer Eltern. Diese mussten sich in ihrer Jugend, wie Zuschnig meint, nur mit dem Schulhof und nicht mit der ganzen Welt vergleichen.

Der Vergleich ist der schlimmste Killerdenn wenn ich beginne, mich zu vergleichen, finde ich tausend Gründe keinen Sex haben zu wollen.“ Denn während Mama und Papa damals ein bisschen schmusten, Händchen hielten, das erste Petting hatten und damit „langsam in die Körperlichkeit kamen“, ist Sexualität heute ein offenes Buch.

Frischzellenkur für die Libido

Zusammenfassend gesagt wird uns also die rosarote Brille nach 36 Monaten abgesetzt. Unser Wunsch nach Nähe und Sicherheit kollidiert mit dem geheimnisvollen, unvorhersehbaren Kick der Erotik. Netflix hat uns Gemütlichkeit, Social Media die große Welt und damit den ständigen Vergleich gebracht. Und am Ende hat uns die große Krise in Form einer Pandemie überrollt. Also wie, bitte schön, kommen wir da wieder raus? Der Aufruf der Sexualtherapeutin an frustrierte Paare: „Investiert in eure Sexualität. Das ist nichts, was vom Himmel fällt.

Sex ist demnach wie Yoga – wenn man es nicht praktiziert, flutscht es nicht und man kann sich schwerer dazu überwinden. „Wenn du den Körper nicht in seiner Sinnlichkeit trainierst, verkümmerst du darin“, so Zuschnig. Unser Körper gewöhnt sich an den Sexentzug. Die Produktion bestimmter Sexual­hormone nimmt stark ab, die Libido
verschwindet. Dagegen hilft nur Sex, Sex und noch mal Sex. Zudem festigt das Liebesspiel die Bindung der Partner. Sich von außen Appetit zu holen, ist laut Zuschnig der richtige Weg, aber das muss keine Affäre sein. „Sex beginnt nicht im Bett. Sex ist lachen, sich umarmen, in der Gemeinschaft sein, was Gutes essen, diese Lebensfreude; sich freundschaftlich berühren.“

5 Tipps für mehr Feuer im Bett

1. Liebevolle Zuwendung

Schon kleine ­Liebesbekundungen im Alltag erwecken die Lust: den Partner nach dem Gang zum Super­markt mit Schoki über­raschen – oder ihm einfach mal ­liebevoll über die ­verspannten Schultern streichen.

2. Raus aus der Komfortzone

Neugierig und offen bleiben! Wenn ihm oder ihr die passive Rolle im Porno gefallen hat, dann hör offen zu – mit der Haltung, es einfach mal auszuprobieren. Am Ende gefällt dir die Rolle der lasziven Domina vielleicht. Also warum sich nicht mal verspielt der Sache annähern?

3. Me Time

So ein kleiner Soloorgasmus holt euch wieder vom Stress- in den Lustmodus. Ihr könnt euch dabei ganz auf euch
selbst konzentrieren und abschalten. Selbstbefriedigung ist auch eine gute Möglichkeit, um herauszufinden, wie ihr am besten zum Orgasmus kommt. Und vielleicht wollt ihr dem Partner dabei mal zur Hand gehen?

4. Sexdates

Um sexuell aktiv zu bleiben, heißt es trainieren, trainieren, trainieren. Im stressigen Alltag sollten wir also auch
unsere erotischen Begegnungen planen.
Macht euch füreinander schön, nehmt euch Zeit – ganz ohne Druck, dass es
zu Sex kommen muss!

5. Sinne schulen

Schult eure Sinne: Verbindet euch die Augen, massiert euch gegenseitig. Probiert ein neues Sexspielzeug oder neue Praktiken wie Tantra aus. Ihr wollt euch ja auch nicht jeden Tag von Pizza ernähren.